Wine-Times - das unabhängige Online-Weinmagazin
Helmut KNALL28.04.2013

Bio & die Sache mit dem Schwefel.

Gedanken von Jürgen Schmücking zur aktuellen Lage bei Bio-Wein.

Unser Gast-Autor ist seit vielen Jahren im "Bio-Bereich" tätig. Bei Lebensmitteln, wie beim Wein. Kaum jemand kennt sich im aktuellen Bezeichnungs-Wirrwarr besser und fundierter aus, als er. Lesen Sie also über EU-Richtlinien und warum manche Winzer den Schwefel doch mögen.

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Es ist noch nicht so lange her, da war ‚bio’ in aller Munde. Magazine und Gazetten waren voll davon, das Thema hat die Szene spürbar bewegt. Befürworter und Gegner standen sich gegenüber und argumentierten sich in Grund und Boden. In Artikeln genauso wie am Stammtisch. Dass der Hype vor allem ein medialer war, ist erst bei genauerem Hinschauen aufgefallen. Die Zahl der Bio-Winzer (oder auch die Menge an verfügbarem Bio-Wein) stand in keinem Verhältnis zur Präsenz in Gespräch und Medien. Im Moment hat man das Gefühl, dass ein bissl die Luft draußen ist.

Eine lupenreine Biowein-Verkostung holt niemand hinterm Ofen hervor. Der Tross medialer Aufmerksamkeit ist weitergezogen und stürzt sich jetzt auf die archaischen, maischevergorenen, amphorengelagerten und sonstigen retroexperimentellen Weine. Das hat vordergründig nichts mit ‚bio’ zu tun, weil es sich dabei fast ausschließlich um kellertechnische Maßnahmen handelt. Genauer betrachtet natürlich schon. Immerhin sind es beinahe ausnahmslos die Bio-Winzer und Biodynamiker, die sich des Themas annehmen. Also irgendwas muss das eine mit dem anderen zu tun haben. Ich werde mich mit diesem Thema an dieser Stelle noch einmal extra beschäftigen.

 

Orange ist nicht Bio. Bio ist nicht Natural. Oder doch?

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Ich finde es trotzdem lohnend, einen kurzen Blick auf aktuelle Situation bei den Bio-Weinen zu werden. Immerhin gibt es seit letztem Jahr gemeinsame Richtlinien für die Kellerwirtschaft und – mit der Ernte 2012 – erstmals zertifizierte Bio-Weine und nicht nur „Wein aus Trauben aus kontrolliert biologischem Anbau“.

Bisher war die Weinbereitung im biologischen Anbau in der EU-Verordnung 2092/91 nicht geregelt. Zur Ausarbeitung der Richtlinien wurde das Forschungsprojekt ORWINE (www.orwine.org) ins Leben gerufen, das im Mai 2009 der EU-Kommission einen Abschlußbericht übermittelte. Auf Basis dieses Berichts verhandelten Bio-Winzer, Interessensvertretungen und Verbände über die neuen Richtlinien. Ein Kompromiss – es ging bei den Verhandlungen hauptsächlich um die erlaubte Schwefelmenge – wurde erst sehr spät gefunden. Im Juni 2010 zog die EU-Kommission noch einen nicht mehrheitsfähigen Vorschlag zurück. Im Jänner 2011 gründeten die großen Weinbauländer die Europäische Weincharta für Biowein (EOWC – european organic wine charta). Ziel war es, einen tragfähigen Konsens für SO2-Werte zu erarbeiten. Dieser Kompromiss wurde im Juli 2011 unter der Schirmherrschaft der IFOAM-EU-group erreicht, dem Dachverband aller Bio-Verbände. Der Vorschlag wurde von der Kommission übernommen und im Feber 2012 vom Ständigen Ausschuss für Ökologischen Landbau (SCOF) akzeptiert.

 

Schwefel als Kompromiss.

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Seither gelten für Bio-Weine neue Regeln. Bezogen auf den Einsatz von Schwefel bedeutet das:

  1. Der maximale Schwefeldioxidgehalt darf bei Rotwein gemäß Anhang I B Teil A Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 606/2009 100 mg/l bei einem Restzuckergehalt unter 2 g/l nicht übersteigen.
  2. Der maximale Schwefeldioxidgehalt darf bei Weißwein und Roséwein gemäß Anhang I B Teil A Nummer 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 606/2009 150 mg/l bei einem Restzuckergehalt unter 2 g/l nicht übersteigen.
  3. Bei allen anderen Weinen wird der am 1. August 2010 gemäß Anhang I B der Verordnung (EG) Nr. 606/2009 festgelegte maximale Schwefeldioxidgehalt um 30 mg/l verringert.

Werden diese (und andere) Richtlinien eingehalten, darf der Wein (ab dem Jahrgang 2012) als Biowein (oder auch Ökowein) bezeichnet werden.

Mit der Kennzeichnung als BIO-ÖKO Wein ist die obligatorische Verwendung des EU-BIO -Logos sowie die Codenummer der Kontrollstelle auf dem Etikett vorgeschrieben. Die Verwendung der Verbandszeichen ist weiterhin erlaubt. Im Klartext heisst das: Wer seinen Wein als Biowein bezeichnet MUSS das grüne (oder schwarz-weisse) EU-Bio-Logo verwenden. Dass wir jetzt schon Weine aus den Jahrgängen 2010 oder 2011 mit dem entsprechenden Logo finden: sei’s drum.

 

Die Österreicher stimmten dagegen.

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Viel wichtiger scheint die Frage, wie die Winzer mit den neuen Schwefel-Grenzen zurecht kommen. Immerhin hat Österreich – neben Spanien – als einziges Land gegen den Kompromiss gestimmt. Das Lager scheint gespalten. Auf der einen Seite haben wir Winzer, die ohnehin mit geringem Schwefel-Einsatz experimentieren und vereinzelt auch extreme Weine ganz gut hinbekommen. Sie schießen aus dem Boden wie die Schwammerl. Etablierte Weingüter, die sich ihren fixen Platz unter den ganz Großen schon erarbeitet haben genauso, wie junge Draufgänger, die sich voll Tatendrang uns jugendlicher Energie auf das Thema stürzen. In La Morra im Piemont ist es zum Beispiel der wohlbekannte Erbaluna, der schon jahrelang die Bio-Weinwelt mit einem mächtigen Barolo verwöhnt. Im Elsass sind es Stentz und Deiss, die ihren Weinen keinen – oder nur eine minimale Dosis Schwefel mit auf den Weg geben.

Der Reihe nach. Schwefel ist ein chemisches Element, das seit ewigen Zeiten Bestandteil im Weinbau. Verwendet wird Schwefel schon im Weingarten, vor allem aber in weiterer Folge bei der Kellerarbeit. Das Element wirkt antioxidativ (was soviel heißt wie, dass es im Wein die Frische, Frucht und helle Farbe erhält), antibakteriell (also als Schutz gegen mikrobische Verunreinigung und Fehlgärung) und zu guter Letzt wird dem Wein noch bei der Abfüllung eine letzte Dosis verabreicht (wegen der Haltbarkeit). So weit, so gut. Jetzt ist es andererseits aber auch so, dass Schwefel bei sensitiven Menschen Auslöser für Allergien sein kann, weshalb seit 2005 auf den Weinetiketten der Zusatz „Enthält Sulfite“ vermerkt sein muss. Dass diese Aktion zu mehr Irritation, als zu Aufklärung geführt hat, ist paradox, aber leider eine Tatsache.

Auch in Österreich gibt es eine Reihe von Winzern, die sich mit dem Thema der Schwefelreduktion beschäftigen. „Schwefelfreie“ Weine herzustellen ist dabei ein schwieriges Unterfangen, da Schwefel in (sehr) geringen Mengen ein Nebenprodukt der alkoholischen Gärung ist. Konkret reden wir also von Weinen, denen kein Schwefel zugesetzt ist.

 

Die Pro`s & Contra`s füllen Abhandlungen, Foren, Blogs und Podiumsdiskussionen.

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Ein reichlich fachliches Thema – die Pro`s und Contra`s füllen seitenweise Abhandlungen, Foren, Blogs und Podiumsdiskussionen. Neben der önologischen (und damit für Verbraucher ziemlich langweiligen) Diskussion gibt es aber auch eine über den Geschmack. Und diese spaltet die verkostende Weinwelt in 2 Lager, die sich seit Monaten einen erbitterten verbalen Schlagabtausch liefern. „Oxidiert, kurzlebig, ‚riecht wie Putzlappen’“, bringen es die einen auf den Punkt und bilden damit die Speerspitze einer Schar engstirniger und ewiggestriger Verkoster, die weit weg davon sind, die Zeichen der Zeit zu erkennen. „Lebendig, vibrant, tiefgründig, fordernd und dynamisch“, meinen die anderen, die offener sind, die richtigen Worte für diese Weine noch nicht gefunden haben, für die aber feststeht, dass mit dieser Art, Wein zu machen, ein möglicher Weg in die Zukunft gezeigt wird.

Karl Schnabel aus Gleinstätten ist einer jener Winzer, die einen Teil der Weine schwefelfrei produzieren. Bei einer Veranstaltung des FiBL hatten geschätzte 40 Personen die Gelegenheit, den Blaufränkisch Hochegg 2008 zu verkosten. Der Auftakt war misslungen. Ein erdig-rustikales, leicht modriges Stinkerl lag über dem Wein. Aber nach einer Stunde im Glas: Einfach nur Wow. Der Wein konnte in seiner Entwicklung im Glas förmlich beobachtet werden. Die ruppigen Aromen wurden von kristallklaren mineralischen Noten in die Schranken gewiesen, der Wein öffnete sich, zeigte sich sogar von seiner elegant-harmonischen Seite und entwickelte sich zum absoluten Hochgenuss. Feingliedrige Frucht, getragen von der prickelnden Mineralik des silikatischen Schiefergesteins. Grandios. Im Moment hat Adi Schmid im Steirereck seine Freude daran, den Wein zu empfehlen.

Wir werden die Kriterien des Weinverkostens neu definieren müssen. Weine wie die von Karl Schnabel, aber auch von Niki Moser, Fritz Salomon oder Franz Strohmeier, dem österreichischen Pionier in Sachen schwefelfreier Wein, passen einfach nicht in konventionelle Bewertungsmethoden. Probieren sie diese Weine aus. Sie erweitern Ihren Horizont und machen enorm Spass. Offenheit für Neues vorausgesetzt.

Deutlich mehr Schwierigkeiten mit den engeren Schwefelgrenzen hat Niki Saahs vom demeter-Weingut Nikolaihof. Und er hat auch Recht, wenn er sagt, dass es mit den neuen Werten schwierig sein wird, langlebige, elegante Weine zu machen. Wenn man dabei die reifen Vinotheksabfüllungen des Hauses im Kopf hat, wird schnell klar, was er damit meint: Der Veltliner vom Nikolaihof ist ein Monument. Ich sage gleich, warum. Vorher darf ich den Kollegen Witschko zitieren: “Bamm. Baff. C’est grand!!”. Nicht, dass das ein differenziertes Urteil wäre, es sagt aber einiges über die Überraschung und den emotionalen Zustand aus, den der Wein scheinbar ausgelöst hat. Wie das kommt? Ich habe eine Vermutung.

Wenn ich mich recht erinnere, wurde der 93er bei der VieVinum 2008 vorgestellt, nachdem er vermutlich ein paar Monate davor abgefüllt wurde. Die Präsentation des Weins war damals eine Sensation. 15 Jahre im Holzfass gereift und mit strahlender Jugend gesegnet. Hocharomatisch, tiefgründig, geprägt von der kargen Urgesteinsmineralik der Wachau. Mit seinem brillanten Strohgelb, seinen zauberhaften Aromen nach reifer Quitte, Birne und Steinmehl, seiner asketischen Struktur und seiner unglaublich langen Präsenz am Gaumen beeindruckte der Wein damals die Gäste am Nikolaihof-Stand. Daran hat sich bis heute nicht wirklich viel verändert. Höchstens, dass der Wein mittlerweile fast ausverkauft und nur über Umwege erhältlich ist.

Zum Schopf setzt der GV noch einmal zum finalen Höhenflug an. Nachdem der Braten vom Wollschwein war, war er auch dementsprechend fett. Salz, frischer Koriander, Kümmel, Knoblauch. Das war’s eigentlich, und dieses Spektrum bot dem Wein eine Bühne, auf der er glänzen und strahlen konnte. Eine großartige Kombination, in der sich die würzigen Noten von Wein und Gericht perfekt ergänzen. Irgendwo im Keller liegt noch eine Flasche. Glaube ich. Hoffe ich.

 

Frisch verkostet.

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Hier noch ein paar Notizen für schwefelreduzierte Weine aus letzter Zeit, die mir in Erinnerung blieben:

2011 NATURE, Domaine Julien Meyer, Nothalten (Elsass),
(Sylvaner, Pinot Gris).

Der NATURE ist hell, frisch, frech, fruchtig und hat einen enorm hohen Trinkspassfaktor. In der Nase präsentiert sich der Jüngling blitzsauber, jugendlich und atemberaubend frisch. Ausgeprägte Zitrusnoten nach Fruchtfleisch, Zeste und Gras. Dazu jugendliche Steinobstfrucht und leichte Salzigkeit. Knackige Säure und unglaublich trinkanimierend. Der Wein hat zwar nicht die längsten Längen und auch mit der Komplexität spielt sich vorwiegend am Gaumen ab. Mehr verlangt aber auch keiner. Ein kühler, überraschender Elsässer, ein Winner unter den Trinkweinen.

2011 Côtes du Rhone Petite Ours Brun, Domaine Du Coulet, Cornas (Côtes du Rhone)
Ich mag Cornas. Die Weine, die von dort kommen sind Wölfe im Schafspelz. Mächtige, tanninreiche Weine, die erst nach vielen Jahren maskulinen Charme entwickeln. Und dann kommt dieser kleine braune Bär und stellt mein Weltbild auf den Kopf. Der Petite Ours ist ganz Syrah und ganz anders, als erwartet. In Beton spontanvergoren, mehr oder weniger schwefelfrei und unfiltriert. Dabei herausgekommen ist ein Wein von einnehmender Wärme. Er erinnert an feuchtes Moos und sommerlichen Waldboden. Dann, wenn das Moos am Morgen zwar nass ist, von der Sonne des Vormittags aber erwärmt wird und Dunstschwaden durch das Unterholz ziehen. Dazu kommen nicht minder warme Gewürznoten, die ans Exotisch-orientalische erinnern. Ein Schmeichler, ein kleiner brauner Bär eben. Ein Wein zum Streicheln.

2009 Riesling x Silvaner, Domaine de Beudon „Les Vignes dans le Ciel“, Wallis und 2004 Fendant, Domaine de Beudon “Le Vignes dans le Ciel”, Wallis

Vor ein paar Wochen haben die Bio-Hotels die Verkostung für die jährliche Best of BIO wine – Prämierung durchgeführt. Die Domaine de Beudon – übrigens der einzige Schweizer Betrieb im Bewerb – hat eine grandiose Auswahl ihrer Kollektion zur Verkostung eingereicht. Ein Wein, der 2009 Riesling x Silvaner schaffte den Sprung aufs Podest, der 2004 Fendant lag ebenfalls ganz weit vorne. Die Weingärten der Domaine sind jedenfalls ein Augenöffner und in jedem Fall einen Besuch wert. Die höhe gelegenen Lagen befinden sich über einer steilen Felswand auf etwa 900 Metern Höhe. Auf dieser Höhe befindet sich auch die Domaine, erreichbar nur zu Fuß oder mit einer kleinen Seilbahn.

Jetzt aber zu den Weinen: Der Riesling x Silvaner präsentiert sich in dunklem, satten Strohgelb; im ersten Moment ein überraschend rustikaler, bodenständiger Ton. Der aber hat was und zieht magisch an; geschmeidig, ganz spezielle kräutrige Noten und etwas warme Würze, Karamell dazu. Irgendwie mag man von dem Wein nicht losreißen. Ein Wein, der Zeit und Aufmerksamkeit fordert, aber fasziniert. Ein schillerndes Universum an Aromen, das fesselt und nicht los lässt. Leicht, schlank und doch von großer Intensität. Perfekt zu allen Zwischengerichten, zu frischen Langustinos im Buchenrauch. In Summe ein spannender Wein, der mit Luft gewinnt.

Ganz anders der Fendant: Strahlendes Goldgelb und in der Nase die ersten (aber deutlichen) Reifetöne. Riecht nach Honig, Orangenblüten und reifen, exotischen Früchten. Dabei aber bestechende Mineralik, die Felsenwand lässt sich förmlich auf der Zunge spüren. Ein Charakterkopf von einem Wein mit lebendiger Säure und markantem Profil. Von der Domaine de Beudon wird noch einiges zu lesen sein. Alleine schon deshalb, weil mich die Weine faszinieren und ich mir das genauer anschauen will. Das Weingut wirtschaftet übrigens biodynamisch und ist Mitglied bei Bio Suisse und demeter.

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