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Helmut KNALL12.06.2013

Am Anfang war das Trocknen.

Über die Vielfalt eines faszinierenden Weines, genannt Amarone.

Eigentlich gibt es Amarone di Valpolicella, wie er genau heisst, offiziell noch gar nicht so lange. Das erste Etikett, auf dem tatsächlich Amarone stand, stammt aus dem Jahr 1953.

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Typische Trockengestelle im Hause Quintarelli.

Davor gab es nur Valpolicella bzw. Recioto di Valpolicella, einen roten Süsswein aus denselben Traubensorten, den man durch die Trocknung der Trauben gewann. Das Trocknen der Trauben ist heute noch der entscheidende Punkt bei der Erzeugung von Amarone.

Wie und warum es irgendwann in den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg zu dieser Art der Weinerzeugung kam, ist nicht wirklich klar. Es gibt jede Menge Anekdoten.

So soll zum Beispiel ein Winzer, der Trauben zur Erzeugung des Recioto zur Trocknung aufgelegt hatte, zur Front berufen worden sein. Also presste er die nur angetrockneten Trauben noch schnell bevor er in den Krieg zog. Als er nach Hause kam war der Wein aus den kürzer getrockneten Trauben mit langer Reifezeit im Fass wunderbar. Der Amarone war geboren.

Die Geschichte ist zwar herzig, der wahre Grund war aber vermutlich ein ganz anderer. Nämlich die Notwendigkeit, einen Wein zu erzeugen, mit dem man auch international mit den Erfolgen der Weine aus Frankreich mithalten konnte. Denn das System einen Wein aus getrockneten Trauben zu erzeugen ist uralt. Und Aufzeichnungen über einen „bitteren“ Wein aus dem Valpolicella-Gebiet gibt es schon in früheren Jahrhunderten. Und „amaro“ bedeutet auf Italienisch schlicht „bitter“.

Heute ist der Amarone natürlich nicht mehr bitter, sondern vollmundig mit hoher Extraktsüsse. Nur der würzige, zart-herbe Geschmack im Abgang erinnert noch an diese Zeit.

 

„Getrocknet wurde schon immer.“

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Werbung aus den 1950er-Jahren.

Das Trocknen der Trauben ist eine sehr alte Art der Verarbeitung. Schon im vierten Jahrhundert nach Christus beschreibt Cassiodorus, ein Minister des Gotenkönigs Theoderich einen Wein aus getrockneten Trauben aus dem Gebiet des Valpolicella. Der Grund, warum man Trauben zum Trocknen aufgelegt hat, ist allerdings nicht ganz klar.

Vermutlich kommt das aber, wie so oft, aus ganz simplen Gründen. Denn die Betriebe waren seinerzeit ja nicht spezialisiert und Wein war daher nur eines der Produkte eines landwirtschaftlichen Gutes. Also wurde daran gearbeitet, wenn Zeit war. Da Getreide, Gemüse oder andere Früchte schneller verderben, wurde der Wein eben später verarbeitet. Dabei wurde entdeckt, dass später gelesener Wein bzw. getrocknete Trauben eine höhere Qualität, einen süsseren Wein erbrachten. So entstand der Recioto. Dafür wurden nur die oberen Teile der Traube verwendet, die am meisten Sonne abbekommen und mit etwas Phantasie wie ein kleines Ohr aussehen, welches im Dialekt „recia“ (von orecchio = Ohr) genannt wird.

Im Lauf der Zeit entstanden dann - vermutlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts - Weine, die durch die lange Gärung trockener gerieten, als man eigentlich wollte. Denn durch die Trocknung kam man ja in die Wintermonate, bis die Trauben dann endlich gepresst wurden. Durch die niedrigen Temperaturen und den hohen natürlichen Zuckergehalt gärten die Weine extrem langsam aber konstant durch und wurden trocken.

Dieser vollkommen durchgegorene Recioto war zugleich auch herb-würzig und erfreute sich grosser Beliebtheit. Der Amarone war geboren. Meist blieb dieser Wein aber Familienmitgliedern oder Freunden vorbehalten. Erst in den 1950er Jahren entstand eine gewisse Marktpräsenz, 1968 erhielt der Amarone seine eigene Ursprungsbezeichnung: Amarone di Valpolicella DOC.

 

Wie in alten Zeiten.

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Heute wird in grossen Betrieben die Trocknung in Plastikkisten bevorzugt.

Es hat sich in den Jahrhunderten an der Produktion im Prinzip nicht viel verändert. Ende September bis Mitte Oktober werden die schönsten Trauben geerntet und händisch zum Trocknen aufgelegt. Dafür gibt es in den alten Weingütern in den Dachböden eigene Gestelle aus Holz und Bambus, jede Traube wird vorsichtig neben die andere geschlichtet, jede beschädigte Beere wird weggezupft. Nur absolut gesundes Material verhindert Schimmelbildung.

Die Dachböden haben Fenster, die möglichst Nord-Süd Ausrichtung haben, damit der kühle Wind aus den Bergen durchziehen kann. An regnerischen oder nebligen Tagen werden die Fenster geschlossen und mit riesigen Ventilatoren die Luft verwirbelt.

In der Zwischenzeit gibt es auch riesige Hallen in denen die Trauben mehrerer Weingüter in extra dafür angefertigten Plastikkisten getrocknet werden. Die Holzgestelle sollen aus hygienischen Gründen verboten werden. Die inzwischen längst mögliche – und auch bereits erprobte - Trocknung in computergesteuerten Trocknungsräumen, wo Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Gebläse automatisch gesteuert werden, ist (noch) verboten, die Trocknung soll unter möglichst naturnahen Bedingungen entstehen.

Durch das Trocknen der Trauben – in der Regel 3-4 Monate – verdunstet das Wasser und die Konzentration steigt um ca. ein Viertel. Gleichzeitig reduziert sich auch die Säure und eine ganze Reihe von mikrochemischen Prozessen setzt ein.

Das Verhältnis Fruktose – Glukose ändert sich und die Polyphenole sättigen sich. Dadurch steigt auch das Glycerin, was die Weine voller werden lässt. Der Wein aus getrockneten Trauben unterscheidet sich also deutlich zu Weinen aus frisch gepressten Trauben - nach neuesten Untersuchungen auch gesundheitsfördernd, da auch der Anteil an Reservatrol steigt, dem man eine Verhinderung der Verkalkung im Arteriensystem zuschreibt. Amarone sei daher ideal zur Senkung des Herzinfarkt-Risikos. Fein.

 

Corvina und Corvinone.

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Traditionelle Traubensorte: Corvina.

Was ein bisschen nach italienischen Wintersportorten klingt, sind die autochthonen Hauptsorten des Amarone. Corvina darf zwischen 40 und 80 Prozent, Corvinone zu maximal 50% verwendet werden, wobei dann der Anteil von Corvina gesenkt werden muss.

Dazu kommen noch Rondinella (5-30%) und Molinara, die allerdings mit ihrer hellen Farbe und eher schlanker Struktur nur mehr selten – und dann meist nur zur Erhöhung der Säure verwendet wird. Ihr Anteil dürfte bis zu 15 % betragen, in der Praxis sind es nie mehr als 3-5 Prozent.

Einige Weingüter haben auch längst vergessene Rebsorten wieder entdeckt und experimentieren damit. So sieht man manchmal Negrara auch Terodola genannt, Forsellina, Pelara, Rossignola und Oseleta, von dem inzwischen einige reinsortige Rotweine auf dem Markt sind.

Natürlich wachsen im Valpolicella auch noch andere Rebsorten, wie Sangiovese, Cabernet, Merlot und Syrah, die aber im Amarone nicht verwendet werden sollten.

 

Tradition und Moderne.

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Der Barrique-Keller von Romano dal Forno.

Traditionell folgt auf die Trocknung der Trauben das Pressen und die langsame Vergärung bei natürlichen niedrigen Temperaturen mit langer Maischestandzeit und einer Vergärung über mehrere Monate. Diese Art verlangt danach nach langem Ausbau im Fass und auf der Flasche.

Die moderne Vinifizierung in temperaturgesteuerten Stahl-Tanks oder Gärständern und maschineller Umwälzung des Tresterhutes, laugt die Beerenhäute rascher aus und gärt auch rascher durch. Die Weine werden dadurch weicher und schneller trinkreif.

Während die Traditionalisten also auf langen Ausbau in grossen Holzfässern setzen, werden bei den „Modernisten“ meist Barriques und Tonneaux eingesetzt, was viele Liebhaber des klassischen Amarone verstört.

Fairerweise muss man aber sagen, dass es auch hervorragende Weine der modernen Art gibt. Ob sie genauso langlebig sein werden, wird die Zeit zeigen. Eines darf aber durchaus bekrittelt werden. Die vielfach anzutreffenden „überholzten“ Weine im „New-World-Stil“, bei denen man nur mehr Schokolade und Vanille-Aromen schmeckt, die in einer Blindverkostung nicht mehr als Amarone erkennbar sind, braucht wohl niemand wirklich. Das ist ganz sicher der falsche Weg.

 

Nördlich von Verona.

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Typische Pergola-Erziehung.

Das klassische Anbaugebiet Valpolicella – so benannt aus dem lateinischen „Vallis polli cellae“ – das Tal der vielen Keller – zieht sich nordwestlich von Verona hinauf zu den lessinischen Bergen und westlich Richtung Garda-See. Jedes der vier Täler ist von einem „Torrent“, also einem Flusslauf, der im Sommer nahezu austrocknet, durchzogen und hat eine eigene „Hauptstadt“: Sant 'Ambrigio, Fumane, Marano und Negrar. Dieses Gebiet wird als Valpolicella Classico bezeichnet. Eine reizvolle Hügellandschaft mit Weingärten auf 100 bis 450m Seehöhe und vielen sehenswerten Kirchen und Villen. Der Wein wird meist noch in der alten Pergola-Erziehung kultiviert, neuerdings auch in der französischen Guyot. Durch die Klimaerwärmung ist die Pergola in einer „offeneren“ Form allerdings wieder auf dem Vormarsch.

In der Zwischenzeit zählen die vier östlicheren Täler Valpantena, Val Tremigna, Val d'Illasi und Val di Mezzane auch zum Valpolicella-Anbaugebiet. Die Erfolge von Romano dal Forno und seinen Kollegen liessen Zweifel an der Qualität der „neuen“ Anbaugebiete rasch verstummen.

Zum Abschluss muss natürlich erwähnt werden, dass der Amarone zwar der Top-Wein aus dem Anbaugebiet ist, der Löwenanteil aber natürlich nach wie vor auf Valpolicella, Valpolicella Superiore und Valpolicella Superiore Ripasso, (den man in neuester Zeit recht modern und schokoladig „für den amerikanischen Markt“ produziert und als „Baby-Amarone“ bezeichnet) fällt.

Genaue Auskünfte über Reglements und Erzeuger findet man beim Consorzio per la Tutela die vini Valpolicella in San Floriano.
Tel: +39 045 77 03 194
Website: www.consorziovalpolicella.it
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Die besten Erzeuger.

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Bertani

Boscaini Carlo

Bussola Tommaso

Cà Rugate

Campagnola

Dal Forno

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